frau richstein und Katja
Wer ist Frau Richstein?
Herta Richstein, Jahrgang 1918, war meine Oma.
Ich habe sie kaum jemals ohne eine Handarbeit gesehen. Sie strickte Socken für alle mit wundervollen Zopf- und Lochmustern.
Sie stickte in Kreuz- und Gobelinstich - es gibt zwei komplett gestickte Sessel in der Familie.
Ich habe heute noch mein von ihr gestricktes Schaf, mit dem ich als 4-jährige als Steckenpferd Ersatz gespielt habe. Ich kann mich nicht erinnern, es nicht besessen zu haben.
Später strickte sie häufig Puppen und Teddybären für wohltätige Zwecke und obwohl damals noch keiner etwas von Upcyclen wusste, war es für die Generation meiner Großeltern selbstverständlich, Dinge zu flicken, aufzuarbeiten oder wieder zu verwerten.
Heute würde ich sagen, dass ich mir bedauerlicherweise viel zu wenig ihrer Fertigkeiten habe zeigen lassen.
Ein bisserl blieb hängen
Die Frauen meiner Familie haben offensichtlich doch auf mich abgefärbt.
Als Kind habe ich es geliebt, in den Handarbeitskörben zu kruscheln und die dort enthaltenen Schätze zu entdecken, später regelmäßig den Gummibandvorrat meiner Mutter für meine Bögen verbraucht.
Nach der Strickliesl folgte die Häkelnadel (worin ich wirklich sehr untalentiert bin), dann habe ich mit stricken weiter gemacht, was schon besser klappte. Schals, Pullover und Socken habe ich ganz gut hinbekommen - mit Unterstützung meiner Mutter, die ein echtes Strick-Ass ist.
1995 verstarb Oma Herta und ich erbte das Stickzeug: es wollte sonst niemand haben. Aber ich fand die Holzkiste, die sie für die Sticktwist Docken nutzte, so schön, also besaß ich ab da ein Sticksortiment.
Seitdem habe ich mir Stickstiche beigebracht und nach eigenen Zeichnungen und Vorlagen gestickt.
Vom Garn zum Stoff
Statt klappernder Nadeln nun eine ratternde Nähmaschine
Mit 16 war ich mit meiner Mutter in einer Ausstellung im Kreismuseum Zons: 1991 hieß das noch Quilt-Biennale, heute laufen die Ausstellungen unter dem Nahmen "Europäische Quilt-Triennale".
Das erste Mal, dass ich mit dem Thema Patchwork in Berührung kam. Und ich war begeistert: die Farben, die Muster, die Wirkung der fertigen Quilts - es war genau mein Ding, wie Gemälde in Stoff (zu der Zeit versuchte ich mich in Malerei). 🤩
Nähen habe ich aber tatsächlich erst mit 28 Jahren begonnen: ich wollte für die Fenster in unserem 400-Jahre-altem Bauernhaus (kein Standardmaß!) Vorhänge nähen. Nichts kompliziertes, einfach rechteckige Vorhänge mit Aufhängeschlaufen ... ich bin fast verzweifelt und habe mir echt einen an der Maschine abgebrochen. 🤯 Das Einfädeln des Oberfadens hat gefühlt Stunden gedauert! 🤪
Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen – und habe einen VHS Kurs belegt 🤓; die Kursleiterin war Schneidermeisterin und war erst mal nicht begeistert, dass ich mit Vorhängen und Stuhlhussen um die Ecke kam.
Als ich die schlussendlich zu Stande gebracht hatte, habe ich meinen ersten Rock genäht. Es war schon cool, Kleidungsstücke zu nähen, die passten und deren Farbe und Stoff 100% meins waren.
Allerdings stellte sich ebenso schnell heraus, dass Standard-Schnittmuster auch nicht immer das Gelbe vom Ei sind: manche Teile waren ohne massive Änderungen am Schnitt nicht passend zu kriegen. 🤨
Aber es machte Spaß, die Mädels in dieser Nähgruppe waren super nett - es war ein wöchentlicher Termin für mich zum abschalten, austauschen (ratschen 😁), etwas schönes herzustellen.
In einem der Kurse war ich dann mit meinem Sohn schwanger und konnte nicht so schnell nähen, wie der Umfang zunahm 😉 - aber der Kurs war immerhin bezahlt. Also musste ein anderes Nähprojekt her.
Also fiel mir dann 2004 wieder ein, dass ich Patchwork nähen eigentlich gerne ausprobieren würde, kaufte mir ein Magazin, und mixte mir aus den Entwürfen, die mich ansprachen, meinen ersten eigenen Entwurf zusammen: den Adventskalender meiner Tochter.
Es war ein Ansporn, etwas Bleibendes und Schönes für meine Kinder zu nähen, das über die Jahre Bestand hat und Erinnerungen schafft.
Ab da war es vorbei! 😂 Mich hatte das Patchwork Fieber und die Quilt Sucht gepackt. 🤒
Meine Anfänge folgten verschlungenen Pfaden – ich habe mir den Großteil meines Wissens und Könnens selber beigebracht und angelesen, vieles durch Ausprobieren und natürlich aus Fehlern gelernt. Der erste Stoffkauf – damals schon online – dauerte einen halben Tag, weil ich so überfordert war. 🙃 Bis ich mich dann traute den ersten Schnitt zu machen, lagen die Stoffe geschlagene drei (!) Tage auf der Matte – ich war völlig unsicher und hatte die Sorge, den schönen (teuren) Stoff "kaputt" zu machen. Heute noch stehe ich vor manchen Stoff-Schätzen und muss vorm ersten Schnitt durchatmen. ☺️
Erst einige Jahre später kam der Austausch mit anderen Quilterinnen dazu. Es gibt so vieles aus den Erfahrungen anderer zu lernen - ähnlich wie früher Wissen und Fertigkeiten von Generation zu Generation weiter gegeben wurden.
Vielleicht liegt es mir auch im Blut, dass Bereiche, in denen Technik/ handwerkliches Können und Kreativität aufeinander treffen, genau mein Ding sind: schließlich habe ich mal Fotografin gelernt. 😉
Wenn mich vieles auch an dem Prozess selber fasziniert und begeistert, für mich ist meine Wohnung erst richtig gemütlich und wohnlich, wenn (mindestens) ein Quilt an der Wand hängt.
Nicht umsonst wurden z.B in Burgen die Wände mit Wandteppichen "geschmückt" oder später Stofftapeten verwendet; neben dem Dekoeffekt isolierten diese Materialen und hielten die Wärme innerhalb der Räume.
Ich kann mich beim Patchen kreativ austoben ☺️ wie bei kaum etwas anderem. Am Skizzenblock, bei der Auswahl in meinem Stofffundus, beim Zuschnitt und an der Nähmaschine vergehen die Stunden wie nichts und ich kann total abschalten. Dabei zusehen zu können, wie ein Patchwork Top wächst und Gestalt annimmt, sich die gewünschte Wirkung einstellt, Entwurf und Stoffwahl gelungen sind - das ist ein berauschendes Gefühl!
Patchwork nähen ist für mich ein dynamisches Entstehen, ein kreatives Erschaffen einer Idee und bei jedem Projekt genieße ich das Fortkommen, die Weiterentwicklung, jeden weiteren Schritt bis zum fertigen Quilt. Ok, ich gestehe, mit Ausnahme vom Heften - das genieße ich nicht wirklich. 🤭
Es ist gleichzeitig unbeschreiblich zufriedenstellend, wenn es geschafft ist, bin aber auch ein wenig wehmütig, weil das Projekt nun fertig ist.
Eine besondere Bedeutung für mich ist die Tatsache, dass etwas Bleibendes mit meinen Händen entstanden ist, das mich und auch andere immer wieder erfreut. Meine erwachsenen Kinder bestehen heute noch zum 01. Dezember auf ihre gepatchten Adventskalender - nicht nur wegen des Inhalts. 🤗
Und 20 Jahre später kann ich leider immer noch nicht so schnell nähen wie die Ideen über mich herfallen. 😅
Aber ich habe in den vergangenen Jahren festgestellt, dass Patchwork nähen noch eine ganz andere Wirkung haben kann und weit mehr ist, als nur ein "nettes Hobby" - weswegen ich mir wünsche, viel mehr Menschen diese wunderbare Welt zeigen zu dürfen und ihnen neue Horizonte zu öffnen.